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Testen mit dem Screenreader
Kann der sehende Mensch den blinden Menschen simulieren?
Vorbemerkung: Bevor ich die Frage aus dem Titel beantworte, werde ich erst einmal ganz weit ausholen und Grundlagen der Wahrnehmung feststellen. Das menschliche Hirn ist ein schier unglaublich leistungsfähiges Organ. Aus einer enormen Fülle von Einzelinformationen, die von unseren Sinnesorganen aufgenommen und weitergeleitet werden, setzt es ein mehr oder weniger zutreffendes Abbild der Realität zusammen. Mehr noch, es ist in der Lage, dieses Abbild dauerhaft abzuspeichern und für den Bedarfsfall abrufbar bereitzuhalten. Damit dies auch schön ökonomisch, also resourcensparend vor sich geht, legt unser Hirn nicht permanent komplett neue Abbilder bereits bekannter Phänomene an, sondern vollzieht so eine Art Dateiabgleich und notiert nur die relevanten Änderungen. Natürlich nur dann, wenn wir sie auch wahrnehmen. So kommt es zum Beispiel immer wieder vor, dass ortskundige Autofahrer ein neu angebrachtes Verkehrsschild übersehen und einen Unfall verursachen. Und dass nur deshalb, weil sie nicht auf einer realen Straße, sondern einer aus dem Gedächtnis abgerufenen Fahrtstrecke unterwegs waren. Dieser Informationsfluss, der von allen fünf Sinnsorganen für unser Hirn zusammengetragen wird, ist extrem gut organisiert. Denn der ständig wechselnde Anteil der Sinnesorgane am gesamten Informationsaufkommen stellt hohe Anforderungen an das zeitgleiche Erfassen, sinnvolle Ordnen und Abspeichern der so entstehenden Eindrücke, der Abbilder. Glücklicherweise geschieht dies alles ohne unser steuerndes Zutun und läuft komplett automatisiert ab. Diese Automatisierung wurde von Mutter Natur, wahrscheinlich zu unserem Schutz, sogar soweit getrieben, dass uns das bewusste, gesteuerte Abschalten der Informationen einzelner Sinne im Alltag gar nicht möglich ist. Dieses Abbild der Realität ist später nicht mehr in seine Einzelteile zerlegbar. Dafür sind die Einzelinformationen viel zu sehr miteinander verknüpft. Einzeln sind diese Informationen im übrigen auch sehr viel weniger wert als in ihrer Summe. So ein Abbild ist keine exakte Kopie der Wirklichkeit, sondern eine vom Individuum sehr persönlich geformte Wahrnehmung von Lebewesen, Gegenständen und Ereignissen. Die Abbilder, die verschiedene Personen produziert haben, können sehr stark voneinander abweichen. Im Extremfall sogar so stark, dass sie zueinander nicht kompatibel sind. Polizisten können ein Lied davon singen, denn nicht selten kommt es vor, dass sie aufgrund der Zeugenaussagen nach einem Verkehrsunfall nach einem roten Mercedes Golf mit blauer Grünstichfarbe und seiner jungen Fahrerin mit Vollbart fahnden müssen. Einer der ganz wichtigen Vorteile dieser angelegten und abgespeicherten Abbilder, trotz ihrer möglichen Nachteile, besteht darin, dass wir die Welt oder Teile davon auch dann wahrnehmen können, wenn wir sie gar nicht sehen oder hören. Wir können schließlich, zum Beispiel, mit geschlossenen Augen vor einem soeben betrachteten Gemälde stehen und das Abbild dieses Kunstwerks aus dem Gedächtnis „vor unsere Augen“ abrufen. Tolle Leistung! Nun ist es nicht wirklich überlebenswichtig, ein bekanntes Gemälde mit geschlossenen Augen sehen zu können, aber unsere Vorfahren vor hunderttausend Jahren waren sicherlich sehr dankbar dafür, in einer zum Teil sehr feindlichen Umwelt sich auch bei Dunkelheit mit Hilfe von Abbildern in ihrer gewohnten Umgebung orientieren und im Bedarfsfall flüchten zu können. Pech für den Wolf! Wie wir bereits festgestellt haben, sind die Abbilder verschiedener Individuen nicht beliebig untereinander austauschbar. Dazu sind unsere Wahrnehmungen einfach zu unterschiedlich. Noch schwieriger wird es dann, wenn Abbilder nicht aus den Informationen aller fünf Sinne zusammengesetzt werden, sondern wenn einzelne Informationen fehlen. So enthalten die Abbilder blinder Menschen keinerlei optische Informationen, die gehörloser Menschen müssen ohne akustische Signale auskommen. Alle Abbilder unterscheiden sich also ganz wesentlich voneinander, und doch ist keines richtiger als das andere, es sind lediglich stark unterschiedliche Wahrnehmungen der gleichen Realität. Und da komme ich dann jetzt zum eigentlichen Kern: ein sehender Mensch kann noch so fest die Augen zukneifen, niemals wird er die Welt so hören, riechen, fühlen und schmecken, wie ein blinder Mensch dies tut. Er wird sie auch nie so sehen, wie ein gehörloser Mensch sie sieht. Das lassen die unzähligen Abbilder im Hirn des sehenden und hörenden Menschen wegen der darin enthaltenen und gewerteten visuellen oder akustischen Informationen einfach nicht zu. Genau deshalb kommt ein sehender Mensch auch nicht als ernsthafter Tester mit einem Screen Reader in Frage. Schon gar nicht dann, wenn er der Autor der Seite ist. Denn der würde beim Hören unweigerlich den ihm bekannten Quelltext „mitlesen“. Das Lesen einer Seite mit erblindeten Augen unterscheidet sich im übrigen ganz wesentlich vom Hören eines Sehenden. Auch wenn er sich noch soviel Mühe macht, die Erlebniswelt eines blinden Menschen kann er nicht perfekt simulieren! Das soll er übrigens auch gar nicht. Da, wo uns Menschen immer wieder mal ein wenig das Verständnis füreinander fehlt, muss halt die Kommunikation untereinander, statt übereinander einsetzen. Sonst besteht immer die Gefahr, dass wir technische Barrieren beseitigen, stattdessen aber weitaus schwerwiegendere, gedankliche errichten! Falls es jemand immer noch nicht verstanden haben sollte, alle diese Überlegungen enthalten nur einen einzigen wirklich wichtigen Satz: Kommunikation untereinander, statt übereinander.
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Zum einen ist dies hier ja kein Forum, sondern ein Board. Auch wenn es Forum heisst!
Ob Foren oder Boards für Readeruser zugänglich sind, hängt wie immer vom Quelltext ab. Natürlich ist so gut wie kein Board/Forum besonders barrierearm, aber für erfahrene User stellt auch das kein unlösbares Problem dar! Eine Mailingliste, wie sie zum Beispiel vom Fraunhofer-Institut betrieben wird, ist für blinde Nutzer natürlich weitaus besser "bedienbar". Links zum Informieren: Willkommen bei BIK - barrierefrei informieren und kommunizieren Barrierefreies Webdesign: Einfach für Alle - eine Initiative der Aktion Mensch WAI Austria - Startseite - Zugang für alle FIT-BIKA :: Mailingliste "Barrierefreies Internet"
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Eines der größten Probleme bei Boards/Foren für blinde Besucher sind die zum Teil haarsträubenden Ausdrucksformen und abenteuerlichen Rechtschreibauffassungen!
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Und noch was ganz Wichtiges - ich habe so formuliert:
Zitat:
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Zitat:
Dort gab sich meiner Erinnerung nach bisher ein einziges Mal ein Blinder zu erkennen. Er schrieb eine Handvoll Postings, das war's. Warum sich Blinde offenbar nicht in öffentliche Debatten rund um Barrierefreiheit einmischen, weiß ich bisher nicht. Ob eine Debatte hier mit uns für Blinde attraktiver wäre, wenn diese Rubrik "Barrierefreiheit" von xhtmlforum.de, in das barrierearme und gebrauchsfreundliche Diskussion-Medium umgewandelt würde, eine Newsgroup "<newshtmlforum.barrierearmut>", weiß ich nicht.
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Zitat:
In der Mailingliste des Fraunhofer-Institutes sind einige blinde User aktive Mitglieder, die sich intensiv und sehr sachkundig zum Thema "Barrieren im Web" äußern. Das Mitmachen in Mailinglisten ist für blinde User im Übrigen sehr viel leichter, als in den komplexeren Strukturen eines Boards arbeiten zu müssen!
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Zitat:
Geändert von Geronimo (07.12.2006 um 18:42 Uhr) |
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